Kornelia Röder
moving painting

Sinnlichkeit und Computertechnologie müssen keinen Widerspruch darstellen. Der künstlerische Ansatz in der computergenerierten Arbeit Udo Rathkes, die er als "moving painting" bezeichnet, basiert nicht vordergründig auf der technischen Komponente. Der Computer wird von ihm wie Pinsel oder Filzstift als Handwerkszeug genutzt. Einer Bildidee folgend bzw. diese während des Arbeitsprozesses entwickelnd, wählt er Bildvorlagen aus und richtet sich nach Kompositionsprinzipien, wie sie auch für Malereien, Zeichnungen und Collagen Anwendung finden. Allerdings erhält das Kriterium der Auswahl zwischen den mannigfaltigen gestalterischen Möglichkeiten, die der Computer bereitstellt, einen veränderten Stellenwert. Die Bedeutung der Handschrift als Ausdruck der subjektiven Empfindungswelt eines Künstlers wird bei einer solchen Arbeitsweise weitgehend negiert. Emotionalität, Expressivität finden keine direkte Umsetzung, sondern erfahren in gewisser Weise eine Objektivierung durch die technisch determinierten Abläufe, ssdie eine Eigendynamik in den Gestaltungsprozeß einbringen.
Rathkes Bildwelt geht von der Bearbeitung bereits vorhandener Bilder aus, indem er auf das Internet, auf Reproduktionen von Gemälden und auf Fotos zurückgreift. Ihm steht ein riesiges Reservoir an Bildern zur Verfügung, das in unserer Mediengesellschaft rasant anwächst und das er als Material begreift und als solches verwendet. "Cut and paste" – Ausschneiden und Einfügen, das Collage- bzw. Montageprinzip prägte nicht nur die Kunst des 20. Jahrhunderts, sondern erweist sich auch heute noch als tragfähig für Künstler, die im Bereich der Neuen Medien experimentieren. Lev Manovich verwendet in seinem Buch The Language of New Media dafür den Begriff des "kombinatorisch Neuen". Ähnliche Prinzipien nutzt Rathke, wenn er mediale Bilder mit Hilfe von Computerprogrammen überlagert, vergrößert, verzerrt, verfremdet, Kontraste verstärkt oder mildert, Helligkeitswerte steigert oder abschwächt, Farben verändert oder Fragmente anderer Bilder hinzufügt. Als Ergebnis entstehen Arbeiten, die mit dem verwendeten Ausgangsmaterial nur noch in einem vergleichbaren Verhältnis stehen – wie die Farbe zum fertigen Bild. Malerei definiert sich für Künstler wie Rathke nicht durch die Verwendung von bestimmten Materialien, sondern in der spezifischen Art und Weise, über visuell wahrnehmbare Phänomene zu reflektieren. Marcel Duchamp verwies in seinen Schriften wie auch in seinen Arbeiten auf den Unterschied, der zwischen dem Material und dem Medium Malerei besteht. Auf dieser Basis kann auch die Projektionsfläche eines Computers zur Malerei werden.
Aufgrund ihrer differenzierten Nuancen, der fließenden Übergänge und eines Spektrums von Farbklängen können Rathkes Arbeiten im Sinne der Kriterien, wie sie Heinrich Wölfflin 1915 mit seinen Kunstgeschichtlichen Grundbegriffen entwickelte, auch als "malerisch" bezeichnet werden. In der Verbindung mit dem Moment der Bewegung, das einen sich vollziehenden Veränderungsprozeß erlebbar werden läßt, entwickelt der Künstler einen eigenen, unverwechselbaren Ansatz.
(2002)