Christian Fehlandt
Den Kräften auf den Grund kommend (1997)

Was sind ,Abbilder'? Der alte griechische Philosoph Plato erklärte sie zu Ansichten, die sich der Mensch von der Wirklichkeit macht. Aber wer oder was versteckt sich dahinter?
Man versteht den Mechanismus nicht oder will sich nur stückweise dem Gegenstand nähern, also vereinfacht der Mensch das Angeschaute zu einem verständlichen Modell - das Begriffene und wichtig Gewordene wird zum vordergründigen Handlungsträger emporgehoben. Mag sein, daß er später manches korrigieren muß, aber zum Augenblick ist aller Wissensstand, der die Betrachtung erhellen kann, miteinbezogen worden.
Abbilder - der in Plüschow bei Grevesmühlen lebende Maler und Grafiker Udo Rathke vermeidet das Wort, wenn es um die Betrachtung seiner Werke geht. Früher habe er von der Natur abgebildet, doch habe er das ungeliebte Wort anders zu verstehen gelernt. Er sucht nicht mehr eine Erkenntnis zu gestalten, Rathke sucht die Empfindung, die ihn zur Farbgebung und Formierung seiner werke inspiriert. Das gewonnene ,Abbild', die Form und der alles fassende Bildträger vermitteln zusammen einen Gedanken.
Wirkungsmuster entstehen. Rathke betrachtet unwillkürlich Teile der Wirklichkeit: Natur oder Bilder anderer Künstler oder auch nur einfache Buchabbildungen und spürt dem sich innerlich abbildenden Eindruck nach: dann wird ihm die Farbe zum sprechenden Wort - scheinbar wild durcheinander gestrichen über das Papier. Das ist Absicht. Und auch die Ränder sind beabsichtigt unbeschnitten geblieben.
Rathke mag den Kräften auf den Grund kommen wollen, die gewirkt haben mögen, bevor die Lebendigkeit zur sichtbaren Ordnung verschmelzen konnte. Das, was auf die Ursprünge zurückführt, das versucht Udo Rathke sichtbar zu machen. Was war im Anfang?: die ungestüme Materie, unbedrängt. Jeder Atem, jede Farbe, jede Ordnung stand siegreich für sich.
Wir reden vom Chaos. Aber wer macht sich schon auf den Weg, um in der Unordnung dem ordnenden Prinzip nachzuspüren?